Frage: Energiemanagement und Machine Learning. Worum geht es in dem Zusammenhang?
Prof. Dr.-Ing Junge: Die Anforderungen im Bereich der Energieeffizienz und im Energiemanagement steigen. Die aktuellen Ziele der Bundesregierung hinsichtlich Klima werden bis 2020 wohl verfehlt. Da aber Energie neben der Erfüllung der Klimaziele auch ganz pragmatische wirtschaftliche Ziele für Unternehmen bedeutet ist es wichtig hier kontinuierlich neue Potentiale zu heben.
Dabei kommen der Energiedatenanalyse immer größere Bedeutung zu. Da nur so systematisch neue Potentiale gehoben werden können. Die Novellierung der ISO 50001 hat mit der neuen Norm 50006 auch das Thema aufgenommen und die Betrachtung von Einflussgrößen weiter geschärft.
Es gilt aber auch hier im Rahmen der Digitalisierung neue Wege zu beschreiten. Machine Learning Algorithmen werden heute bereits in verschiedenen Anwendungen implementiert. Im Bereich Social Media, Online Handel, Spracherkennung oder Gesichtserkennung ist das Thema kaum noch wegzudenken. Die Hannover Messe hat gezeigt das das Thema auch immer mehr in industrielle Prozesse überführt wird. Im Bereich des Energiemanagements und der Energieeffizienz ist das Thema aber noch Neuland. Doch hier ergeben sich viele Möglichkeiten und Einsatzgebiete.
Frage: Was steckt denn jetzt konkret hinter Machine Learning?
Prof. Dr.-Ing Junge: Machine Learning oder auch Deep Learning ist ein Teil von dem was wir aktuell unter Künstlicher Intelligenz zusammenfassen. Dabei geht es vor allem um die Analyse von großen Datenmengen. Und im Bereich Energie haben wir viele Daten im Unternehmen. Es kommen in dem Fall spezielle Algorithmen zur Datenanalyse zum Einsatz. Dabei lernt der Algorithmus aber nicht einfach die gegebenen Beispiele auswendig sondern er erkennt Muster und Gesetzmäßigkeiten in den vorhanden Daten und kann damit auch später unbekannte Daten analysieren und beurteilen.
Frage: Wie unterscheidet sich dies vom klassischen Energiemonitoring bzw. Energiecontrolling?
Prof. Dr.-Ing Junge: Das klassische Energiedatenmanagement fokussiert sich bisher sehr stark auf die Visualisierung und das Reporting von Energiedaten. Dabei werden vor allem Verbrauchswerte und Kennzahlen (EnPI) eingesetzt. Über die Kennzahlen wird versucht die Effizienz einer Anlage (z.B. kWh/m³ oder kWh/kg) zu beurteilen.
Dabei müssen aber in vielen Fällen noch weitere Einflussgrößen (z.B. Produktionsmengen oder Temperaturen) berücksichtigt werden. Hierbei erstellt der Energiemanager aus seiner Erfahrung eine solche Kennzahl auf und vergleicht sie mit seiner Erfahrung oder vergangenen Werten um daraus Schlüsse ziehen. Wenn seine Kennzahl bzw. sein Modell hierbei wesentliche Inhalte nicht berücksichtigt dann kann er dabei falsche Schlüsse aus den Daten ziehen.
Im Machine Learning erstellt der Algorithmus quasi selbstständig das Modell und entscheidet welche Einflussgrößen stärker berücksichtigt werden und welche weniger wichtig sind. Auf dieser Basis analysiert er dann kontinuierlich die Daten und stellt z.B. Abweichungen sogenannte Anomalien fest.
Frage: Welchen Mehrwert kann Machine Learning dem Energiemanagement geben?
Prof. Dr.-Ing Junge: Das Machine Learning kann viele der Fleißaufgaben eines Energiemanagers übernehmen und sie kontinuierlich bearbeiten. Beispielsweise kann damit die Wirksamkeit einer Maßnahme automatisiert nachverfolgt werden oder aber auch kontinuierlich nach neuen Potentialen auf Basis von Fehlkonfigurationen oder Abnutzung gesucht werden. Und wie man weiß entsteht der Erfolg von Energieeffizienz durch viele kleine Maßnahmen und die sind aufwendig zu betrachten.
Es ergeben sich aber auch andere Anwendungen. Die Analyse von Einflussgrößen auf den Energieverbrauch im Sinne der ISO 50006 kann durch einen Algorithmus erfolgen. Oder auch die Prognose des Energiebedarfs von Unternehmen bzw. von Anlagen und Maschinen. Darüber hinaus können einzelne Verbraucher aus einem Lastgang identifiziert werden ohne das weitere Messungen notwendig sind.
Frage: Ist das nicht alle furchtbar kompliziert für den Anwender?
Prof. Dr.-Ing Junge: Sicher hört sich das so an. Der konkrete Einsatz von Machine Learning benötigt sicher eine Menge Erfahrung und häufig auch programmiertechnisches und mathematisches Know-how.
Die Frage ist aber doch, ob das Thema für ein Unternehmen die Kern-Kompetenz ist und man selber die Algorithmen anwenden will oder ob man sich dazu einen Partner sucht, der das Thema weitgehend anwenderfreundlich gestaltet hat. Heute entwickelt ja auch nicht jedes Unternehmen sein eigenes SAP sondern lagert teilweise sogar seine gesamte IT-Infrastruktur inkl. der Services aus.
Frage: Wie weit ist man heute schon?
Prof. Dr.-Ing Junge: Es gibt schon viele der großen Cloud Betreiber die das Thema Machine Learning ganz generell als Plattform zur Verfügung stellen, aber hier ist wie schon gesagt das spezifische Know-how beim Anwender nötig. Wir setzen dagegen auf einen anderen Ansatz in dem wir unsere Expertise nutzen um dem Unternehmen einen fertigen Bericht zur Verfügung stellen, der seine Daten regelmäßig analysiert und ihm Prognosen und Potentiale aufzeigt. Das macht ihm den Einstieg einfach, günstig und er profitiert von der regelmäßigen Weiterentwicklung.
Frage: Ist das jetzt alles voll automatisiert und es braucht keine Ingenieure mehr?
Prof. Dr.-Ing Junge: Die Analyse ist natürlich automatisiert, aber bei der Interpretation und der Umsetzung lassen wir die Unternehmen natürlich nicht alleine stehen.
Frage: Geben Sie einen kurzen Ausblick. Wo geht die Reise hin?
Prof. Dr.-Ing Junge: Ich denke, dass uns Machine Learning langfristig helfen wird das Energiemanagement effektiver umzusetzen. Viele Fleißaufgaben die wir heute gar nicht angehen können automatisiert erfolgen und wir können deutlich mehr Einsparpotentiale heben.
Dabei wird die Standardisierung des Themas weiter zu nehmen auch werden weitere Anwendungsgebiete dazu kommen. Beispielsweise im Bereich der Virtuellen Kraftwerke können so schnell Lastverschiebungen bestimmt werden. Aber auch die Potentialerkennung kann mit mehr Daten deutlich konkreter werden und es können konkrete Maßnahmen empfohlen werden. Hier liegt aber noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit vor uns.